Pandamorphose

Mittwoch/Donnerstag, 14./15. September

Die Verwandlung ist vollzogen. Wir sind plötzlich keine Pandas mehr – sondern eine ganz normale Touristengruppe. Naja: Mehr oder weniger jedenfalls... Gestern Abend hatten wir unseren letzten Auftritt im Pelz – vor den Toren des Disneyland Shanghai. Dass selbst diese letzte Performance noch länger im Gedächtnis bleiben wird, hatte für einmal aber weniger mit dem Publikum zu tun, sondern mehr mit dem Platz-DJ, oder wie man den Herrn über die Lautsprecher auch immer nennen möchte. Er brachte das Kunststück fertig, mit gefühlten 300 Dezibel mitten in unsere schöne „Olivia“ rein zu dröhnen. Trotz der (mutmasslich argentinischen) Jaul-Bumm-Bumm-Töne, und ohne dass bei uns der eine noch den anderen gehört hätte, versuchten wir unser Stück dennoch zu Ende zu bringen. Als der Rasen-Musikus seinen Lapsus bemerkte und den Lärm abdrehte, spielte die Pandatruppe einen nie gehörten Kanon. Ob’s von den Zuhörern jemand bemerkte? Hm...

 

Gegen Schluss setzte noch etwas Nieselregen ein. Nicht nur uns selber, sondern auch dem Pandagott war offenbar klar geworden: Das waren vielleicht die letzten Fägertöne aller Zeiten in China. Der musikalisch chaotische Abschluss einer ansonsten spektakulären, grandiosen Reihe von Auftritten. Der Stimmung tat dies keinerlei Abbruch. Denn, bei aller Freude: Auf das Instrumenten-Geschleppe und den inzwischen doch recht lädierten Pandapelz, der beim einen oder anderen allmählich ein müffelndes Eigenleben zu entwickeln schien, können wir nun doch ganz gut noch ein paar Tage verzichten. Wie wir es hingegen vertragen, jetzt nicht mehr „wie Popstars gefeiert“ zu werden (siehe „20 Minuten“-Beitrag), das wird sich zeigen...

 

Nach dem spassigen Tag im Disneyland ging es gestern Abend mit einem kurzen Zwischenstopp im Hotel weiter nach Suzhou, einer Stadt rund 100 Kilometer westlich von Shanghai. Und etwa 50 Kilometer südöstlich von Wuxi. Kennen Sie nicht? Ich auch nicht – aber klingt lustig. Dem Vernehmen nach wird Suzhou („Schu-schou“ ausgesprochen) als „Venedig von China“ bezeichnet, was daher rührt, dass sich viele kleine Kanäle und Flussarme hier den Weg durchs Ortsbild bahnen. Die Fahrt hierher war dank der spektakulären DJ-Performance by Karel Brückner eine ziemlich kurzweilige Angelegenheit. Und just in dem Moment, als wir durch ein ziemlich runtergekommenes Quartier fuhren, die düsteren Häuser anschauten und einer sagte „stell dir vor, unser Hotel wäre hier, haha!“ stellte der Carchauffeur den Blinker. Ähm... ja, seit gestern sind wir genau hier.

 

Das Haus mit dem klangvollen Namen „Riverside Hotel“ ist – um mal diplomatisch zu bleiben – etwas in die Jahre gekommen. Und auch mit dem Putzen nehmen sie’s nicht ganz so genau wie in Shanghai. Bis auf vereinzelte Flecken in der Bettwäsche und das eine oder andere Chäferli im Zimmer ist es aber auszuhalten hier. Von der „Gartebeiz“, wie einer gestern bei der Ankunft noch frohlockte, ist aber freilich weit und breit nichts zu sehen...

 

Wie’s in Suzhou sonst so ist? Ich kann’s ehrlich gesagt (noch) nicht beurteilen, musste ich mich heute doch um Propaganda-Angelegenheiten kümmern und den Tagesausflug drum auslassen. Zu lesen und zu sehen ist das Ergebnis morgen Freitag in der Grossauflage des „Entlebucher Anzeigers“. Vielen Dank auch an diese Adresse – es freut uns, dass unsere Reise rundherum auf so viel Interesse stösst.

 

Bei einem Regentag im Hotel, als Einzelviech getrennt von der grossen Herde, reibt man sich manchmal die Augen und fragt sich, ob das wirklich alles real ist, was man hier sieht, hört und erlebt... Ist es tatsächlich möglich, dass in einer Bar direkt vor den Toren von Disneyland keiner der Barkeeper in der Lage ist, ein Bier zu zapfen, ohne dafür mindestens drei, vier oder fünf Versuche zu benötigen und einen Krug voll Schaum abzuschöpen? Hatte das WC, bei dem unser Chauffeur gestern entlang der Autobahn angehalten hat, wirklich 67 Pissoirs, so dass sich – theoretisch – locker unser ganzer Car gemeinsam hätte erleichtern können? Bringt es wirklich was, mitten im Stau das vordere Auto mit Lichthupe und Horn zu drangsalieren, sobald es nicht näher als 50 Zentimeter auf den Vordermann auffährt? Ist es wirklich wahr, dass die zwei Damen hier an der Reception kein einziges Wort Englisch verstehen – nicht einmal „Taxi“? Wissen die Leute hier, was für eine Verwirrung sie stiften, wenn sie direkt über den Aschenbechern Rauchverbots-Schilder platzieren? Kann es sein, dass das Hotelbett hier so steinhart ist, dass es selbst Bruder Chlaus damals die Barthaare aufgestellt hätte? Und ist es zu glauben, dass die übermässig grosse und feine Instant-Beef-Noodle-Soup, die ich gerade esse, wirklich nur 70 Rappen kostet? (Wie viel kostet sie da, wo das Hotel sie kauft...? Und wo zum Teufel ist das?!) 

 

Die Meute ist laut Fäger-Shanghai-Bibel (ja, die gibt es!) nun beim finalen Programmpunkt „Theaterspektakel – Garden of Masters of Nets“ angelangt. Und ich glaube, dass die heutige Nacht, nach zwei verhältnismässig ruhigen Abenden, wieder jede Menge Potenzial für Skurriles und Spektakuläres bieten könnte... Vorausgesetzt natürlich, wir schaffen es, ein Taxi aufzutreiben.

  

Hä?

 

  

Der Propagandapanda

 

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